Sonntag, 27. August 2023

Was der Rohrkolben erzählt (Predigt) hl

Predigt zum Wochenspruch von Hans Löhr am 12. Sonntag nach Trinitatis (27.8.2023) in der Schlosskirche Sommersdorf

Auf dem Taufstein steht eine Vase mit einem Rohrkolben

Liebe Gemeinde,

ein Bild sagt mehr als tausend Worte, so heißt es. Und ich will euch heute so ein Bild vor Augen führen, das euch vielleicht mehr sagen kann als ich. Und dazu ist es hilfreich, wenn ihr dieses Bild, das im Lauf der Predigt entsteht, tief in euch aufnehmt und wenn möglich behaltet. Denn es soll euch ein starker Trost sein und in euren schweren Zeiten Hoffnung geben.

Jesus hat ja vielfach in Bildern gesprochen, in Gleichnissen und treffenden Worten. Ohne die Bildworte der Bibel wäre unser Glaube arm oder würde sogar verkümmern. Und so stammt auch das Wort, das ich euch heute als Bild vor Augen stellen will, aus der Bibel, aus dem Buch des Propheten Jesaja, und heißt: »Das geknickte Rohr wird Gott nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.« Jesaja 42,3a

Der Rohrkolben

Dazu habe ich den Rohrkolben hier in einer Vase vor euch auf den Taufstein stellen lassen. Gefunden habe ich ihn gleich hinter Sommersdorf im Graben neben der Straße nach Winkel.

In Saft und Kraft steht die Pflanze vor euch, so wie sich jetzt hoffentlich möglichst viele hier fühlen mögen. Doch wie wir Menschen, so kann auch der Rohrkolben geknickt werden. Bei uns reichen schon herbe Enttäuschungen, tiefe Trauer, schwere Sorgen und massive Ängste, die uns geknickt sein lassen. Ich brauche die Gründe dafür gar nicht erst alle aufzuzählen. Jeder von euch war in seinem Leben schon einmal oder mehrmals geknickt und kennt den Grund. Dann hast du deinen Kopf hängen lassen und ein trauriges Gesicht gemacht. Schlimm ist es, wenn andere Menschen dir so weh getan haben, dass du deine Lebensfreude verloren hast. Aber wie gesagt, es gibt viele Gründe, weshalb man geknickt und am Ende ist.

Bei Rohrkolben ist es äußere Gewalt, die dazu führt, dass sie abknicken, ein heftiger Sturm vielleicht oder ein Mensch, der sie umgeknickt. [HL geht zur Vase und knickt den Rohrkolben um. Dann stellt er die Vase auf den Altar vor das Altarkreuz].

Das geknickte Rohr

Was für ein trauriger Anblick! Die Pflanze, die eben noch aufrecht standen und unversehrt war, jetzt ist sie schwer beschädigt. Grund genug, sie aus der Vase zu nehmen und wegzuwerfen.

Einen solchen Anblick bot das Volk Israel zur Zeit seines Propheten Jesaja etwa siebenhundert Jahre vor Christus. Die Großmächte des alten Orients hatten es wieder einmal besiegt, die Hauptstadt Jerusalem und den Tempel zerstört und die Bevölkerung versklavt. Nun gut, das ist lange her und betrifft uns nicht mehr. Doch wie gesagt, auch du und ich, wir können einen solchen traurigen Anblick bieten, wenn wir seelisch und körperlich angegriffen sind, keine Kraft mehr haben und keine Lebensfreude.

Wie ist das mit dir heute Morgen? Kannst du dich in dem geknickten Rohrkolben wiederfinden? Bist du vielleicht auch deshalb in den Gottesdienst gekommen, weil du dir auf irgendeine Weise Hilfe versprichst? Dann hast du die richtige Entscheidung getroffen. Denn du sollst nicht ungetröstet und hoffnungslos wieder nach Hause gehen. Schließlich will dir das heutige Bibelwort für die neue Woche Mut machen. Sagt es doch:

Die Kraft in den Schwachen

„Ja, das geschieht in jedem Menschenleben immer wieder einmal, dass man geknickt ist wie die Pflanzen hier. Doch Gott wird das Rohr nicht zerbrechen und wegwerfen. Er wird an deinem Leid nicht achtlos vorübergehen. Im Gegenteil. Denn er spricht zu dir aus dem Mund Jesu dieses so wichtige und wertvolle Wort: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!'' 2. Korinther 12,9. Er sagt das zu dir, zu wem denn sonst? Du bist jetzt angesprochen mit diesem Bild, das du hier am Altar vor Augen hast und mit dem Wort unseres Herrn Jesus Christus.

Doch wie soll das zu gehen, dass seine Kraft in den Schwachen mächtig ist? Ich habe das immer wieder selbst erlebt: wenn ich am Ende war; wenn ich keine Kraft mehr hatte, mich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, wenn mir die nicht helfen konnten, auf die ich gezählt hatte. Dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir am Tiefpunkt neue Kraft zugewachsen ist. Manchmal hat mir das Gebet geholfen. Manchmal ein anderer Mensch, der mich unverhofft aufgerichtet hat. Manchmal ein Spaziergang durch den Wiesengrund oder irgendetwas anderes, das mir gut getan hat.

Aber darauf, liebe Freunde, kommt es an, dass ich gerade die oft unscheinbaren Dinge mit Gott in Verbindung bringe und erkenne, dass er mir eben auch durch andere Menschen, durch die Natur, durch ein Lied, durch unverhofftes Glück hilft.

Wie schnell kann ein Mensch nicht alle Kraft verlieren und das Gefühl haben, am Ende zu sein. Doch dann erlebst du, dass die fünf Wörter aus dem Vaterunser, die du schon so oft gebetet hast, nicht leer und belanglos sind. Dann wird dir plötzlich klar, ja, das stimmt, was ich da sage: »Denn dein ist die Kraft«. Gott ist meine Kraft. Er gibt mir so viel, wie ich für jeden neuen Tag brauche. Er gibt mir so viel, dass ich meine Lasten tragen kann. Er gibt mir so viel Kraft, dass ich mich wieder aufraffen und meine Herausforderungen annehmen kann. Er gibt sie mir auf vielerlei Art und Weise.

Meistens ist mir gar nicht bewusst, dass er es ist, der mir alle meine Kraft gibt. Dann nehme ich es für selbstverständlich, dass ich gesund und stark bin und ohne große Mühe und Not leben kann. Dann bilde ich mir am Ende noch etwas auf meine Kraft und Gesundheit ein nach dem Motto: „Schaut her, was für ein starker Typ ich bin.“ Doch wer so denkt und redet, täuscht sich. Auch für ihn kommen Zeiten, wo er spürt, dass er aus eigener Kraft nicht mehr zurechtkommt. Wie gut, wenn ich dann weiß, an wen ich mich wenden, wen ich um neue Kraft bitten, auf wen ich mich verlassen kann.

Halt für das geknickte Rohr

»Gott wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen«, sagt der Prophet. Aber was dann? Er wird es wieder aufrichten, verbinden und heilen. Und das will ich euch jetzt an diesem geknickten Rohr hier zeigen. Ich schiene es und binde es hier am Altarkreuz fest. Denn, so glaube ich, das Kreuz Jesu ist der stärkste Halt, den ein Mensch finden kann.

Schau dir dieses Bild genau an. Die Wunde an dem Rohrkolben ist verbunden. Die Pflanze wird gehalten vom Kreuz. Schau genau hin. Vielleicht entdeckst du dich selbst in dieser Pflanze, in diesem Bild. Die Narben an deinem Leib und an deiner Seele zeigen, dass auch du schon mehrmals verwundet warst. Und doch bist du wieder soweit gesund geworden, dass du heute hier in den Gottesdienst kommen konntest. Und doch hast du wieder so viel Kraft bekommen, dass du heute hier Gott danken kannst, dass er dich nicht zerbricht, sondern heilt. Dass er dich nicht wegwirft, sondern dir neue Kraft gibt, um sich an dir zu freuen.

Die Botschaft der alltäglichen Dinge

Schau hinter die alltäglichen Dinge und entdecke die Botschaft, die sie für dich haben. Manchmal kann dir ein geknickter Rohrkolben mehr sagen als eine ganze Predigt. Doch dazu musst du die Bilder des Alltags mit deinem Glauben, mit Gott in Verbindung bringen, dass sie anfangen zu reden und dir neuen Lebensmut machen. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – Nimm dieses Bild hier mit nach Hause, bewahre es in deinem Gedächtnis auf, in deinem Herzen und lass dir davon erzählen, sooft du Gottes Trost und Hilfe brauchst. Amen

Ihr hört jetzt auf einer Panflöte, einem uralten Instrument aus Rohr, einen Song, den viele von euch kennen. Die Melodie stammt aus Südamerika und heißt „El Condor pasa“, der Condor fliegt vorbei. Mit der Musik auf dieser Rohrflöte soll Gott gelobt und gedankt werden für alles, was er uns Gutes getan hat. Vielleicht sind wir ja alle solche Instrumente aus geknicktem Rohr, das er nicht zerbrochen hat, auf dem er das Lied der Schöpfung spielt und ein Liebeslied für dich und für mich: Klick "El Condor pasa"

Herzliche Grüße

Ihr / dein Hans Löhr

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1728 erschien in Herrnhut die erste Tageslosung, ein Bibelwort aus dem Alten Testament, das für jeden Tag des Jahres ausgelost wird. Dazu wird der Lehrtext, ein passendes Bibelwort aus dem Neuen Testament, ausgesucht. Inzwischen erscheinen die täglichen „Losungen“ in etwa 50 Sprachen.
Ich lege Losung und Lehrtext aus, weil einer Untersuchung zufolge das Nachdenken über Bibelworte den Glauben am stärk. Sten wachsen lässt. 

6 Kommentare:

  1. Danke für diese dankenswerten Gedanken Elisabeth

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  2. Welche Freude, den Sonntag mit dieser Predigt zu beginnen und dann noch das lange nicht mehr gehörte El Condor Pasa zu hören. Danke! Ich nehme jetzt beides mit auf einen langen Spaziergang in der Natur bei endlich wieder moderater Temperatur! Barbara

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  3. Lieber Hans Löhr ! Ich habe gerade Ihre berührende Predigt gelesen und mir dann das wunderbare Lied angehört. Ja, ich sehe mich im Rohrkolben. Danke für das symbolische, bildhafte Bild. Danke für Ihre unbeschreiblich schöne Predigt. Danke für die zwei i-Tupfen des Tages - die 5 Worte vom Vater unser und - das Lied. Ich wünsche Ihnen und allen Lesern einen gesegneten Sonntag. Liebe Grüße Ursula Anna

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  4. Das Bild ist wirklich stark. Und stärkt direkt das Vertrauen, nicht allein zu sein, was auch ist oder kommen wird.
    Danke.

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  5. Danke für die wunderbare Ermutigung heute wieder Herr Löhr!

    Mögen Sie es sich bewusst machen, dass viele Menschen - auch wenn diese hier nicht regelmäßig einen Kommentar abgeben - durch ihre Auslegungen täglich so gestärkt und segensreich in den Tag starten!
    DANKE

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  6. Herzlichen Dank lieber Herr Löhr für dieses fantastische, aussagekräftige, überwältigende Bild und seine Auferbauung - genau zur rechten Zeit. Gottes Segen und Bewahrung. Es grüßt Sie und alle Leser, Sylvana

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