Dienstag, 23. Januar 2024

Bedingungslose Vergebung hl

Losung: Um deines Namens willen, HERR, vergib mir meine Schuld, die da groß ist! Psalm 25,11 

Lehrtext: Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Markus 2,5 

Liebe Leserin, lieber Leser, 

heute geht's wieder mal ans "Eingemachte". Als Mensch muss / soll ich einem anderen vergeben, wenn er an mir schuldig geworden ist und umgekehrt: ich soll ihn gegebenenfalls um Vergebung bitten. Bei Gott ist das anders. Wie? Das kannst du hier lesen:

Kurz von unserer Konfirmation mussten wir Konfirmanden und Konfirmandinnen damals zur Einzelbeichte beim Pfarrer in die Sakristei. Es war nur peinlich und furchtbar. Der brave Mann hatte sich halt an die Vorschriften gehalten. Er hätte es besser sein lassen.

Ja und welche Sünden sollte ich denn beichten? Meine sexuellen Fantasien als Pubertierender? Meine kümmerliche Glaubenspraxis? Streit mit meinem Bruder? Faulheit in der Schule? Gott sei Dank war die Einzelbeichte bald vorbei.

Gott braucht kein Sündenbekenntnis

Ich war selbst schon lange Pfarrer, bis mir klar geworden ist, dass das Sündenbekenntnis zu Beginn eines traditionellen Gottesdienstes oder beim Abendmahl nicht die Voraussetzung dafür ist, dass mir Gott vergibt. Es dient dazu, dass ich darüber nachdenke, was ich falsch gemacht habe „in Gedanken, Worten und Werken“ und wie ich das künftig anders machen kann. Es dient dazu, dass ich mich gemeinsam mit anderen vergewissere: Gott hat mir vergeben. Er selbst ist Vergebung in Person. Er macht seine Gnade und Barmherzigkeit nicht von einem in der Einzelbeichte erpressten Bekenntnis eines Pubertierenden abhängig und auch nicht von den allgemeinen, formalen Sündenbekenntnissen in der lutherischen Gottesdienstordnung. Er kommt uns mit seiner Vergebung schon immer zuvor.

Auch die Bitte im Vaterunser „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ dient meines Erachtens dem Nachdenken über das eigene Versagen. Sie bindet die Gewissheit, dass Gott mir vergeben hat daran, dass ich dem vergebe, der an mir schuldig geworden ist. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Gewissheit aber ist keine Bedingung. Sie bestätigt, was sowieso schon gilt.

Die heilende Vergebung für den Gelähmten

Aber hat Gott mir denn wirklich vergeben? Im Lehrtext muss der Gelähmte kein Sündenbekenntnis sprechen, um von Jesus zu erfahren, dass ihm vergeben ist, dass das, was ihn von Gott trennt (= Sünde) und seinen Heilungsprozess blockiert, beseitigt ist. Ich glaube, es war ein zentrales Anliegen Jesu, allen Menschen, denen er begegnete, zu sagen, dass Gott ihnen ihre Sünden vergeben hat ohne jede Vorleistung und Bedingung. Dass sie sich ihm angstfrei und vertrauensvoll öffnen können, um seine heilenden Kräfte in sich zu spüren.   

In allen anderen Religionen, auch im Judentum, werden  für Gottes Vergebung Vorleistungen und Bedingungen verlangt. Auch in der christlichen Religion war und ist das noch weitgehend bis heute so. Aber Religion ist nicht gleich Glaube. Der Glaube bzw. das Zutrauen der Freunde des Gelähmten (Lehrtext), dass Jesus ihn heilen wird, war für ihn keine Vorbedingung. Gottes Gnade, die sich in ihm spiegelt, ist keine Währung, mit der Menschen, wer sie auch seien, schachern könnten. Die Heilung hat sich der Gelähmte nicht verdient. Er hat sie geschenkt bekommen (= Gnade).

In Jesus erkennen wir, dass uns von Gott vergeben ist und nicht erst noch vergeben werden muss

Das gehört für mich zur „Freiheit eines Christenmenschen“. Ich muss nicht wie der Ritter Tannhäuser nach Rom pilgern, um vom Papst Vergebung zu erflehen, und, wenn er sie verweigert, dann „verdammt in alle Ewigkeit“ sein. Ich darf und kann glauben, dass mir vergeben ist. Und wenn ich anderen nicht vergebe, ist das nicht mehr ihr, sondern mein Problem. Gott aber, wie er mir in Jesus begegnet, hat mich frei- und losgesprochen noch ehe ich ihn darum gebeten habe - auch ohne Papst und Einzelbeichte. 

In unserer Menschenwelt hingegen, im Staat beispielsweise, gelten andere Gesetze. Da kann dem Rechtsbrecher nicht von vornherein vergeben, ihm sozusagen ein Freibrief ausgestellt werden. Da muss er für seine Taten büßen, auch wenn Gott ihm längst vergeben hat. Menschliches Recht hat immer auch eine Schutz- und Abschreckungsfunktion, auch wenn diese schwächer ist als man gemeinhin glaubt.

Ich weiß, mit meinem Verständnis von Vergebung gehöre auch ich zu denen, die an den Grundfesten der Kirchenmacht und der christlichen Gemeinschaften rütteln. Es ist an der Zeit, dass Kirche alle Macht über die Gläubigen aufgibt. Dass sie ihnen, anders als der Staat, macht-los, selbst-los, demütig und gratis dient. Dass sie ihnen zuspricht, was schon immer gilt: „Gott hat dir durch Jesus vergeben, weil er dich liebt.“ Wir alle leben doch von der guten, befreienden Nachricht Jesu, vom Evangelium, das Kirche ausbreiten soll. Dazu ist sie da.

Gebet: Herr, ich muss mich nicht erst klein machen, damit du groß bist. Ich muss mich nicht erst als Sünder verdammen, damit du heilig bist. Ich muss dich nicht erst um Gnade anflehen, damit du gnädig bist. Du stellst keine Bedingungen. Mit dir kann ich nicht handeln. Über all das bist du erhaben. Was mir bleibt, ist, dir zu danken, dir zu vertrauen, dich zu lieben und mich so zu verhalten, dass ich mich vor dir und meinen Mitmenschen nicht schämen muss. Amen

Herzliche Grüße

Ihr / dein Hans Löhr

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»Die Bibel ist so voller Gehalt, dass sie mehr als jedes andere Buch Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu Betrachtungen über die menschlichen Dinge bietet.« J.W. von Goethe aus: „Dichtung und Wahrheit“
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1728 erschien in Herrnhut die erste Tageslosung, ein Bibelwort aus dem Alten Testament, das für jeden Tag des Jahres ausgelost wird. Dazu wird der Lehrtext, ein passendes Bibelwort aus dem Neuen Testament, ausgesucht. Inzwischen erscheinen die täglichen „Losungen“ in etwa 50 Sprachen.
Ich lege Losung und Lehrtext aus, weil einer Untersuchung zufolge das Nachdenken über Bibelworte den Glauben am stärksten wachsen lässt.
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4 Kommentare:

  1. Was für eine wohltuende Auslegung! Mir graut jedes Jahr mehr vor der Passionszeit, weil da unentwegt von meiner großen Schuld die Rede ist, die Jesus ans Kreuz gebracht hat. Nein! Zum Donnerwetter, nein! Ich würde doch ( hoffentlich) nie etwas tun, um jemandes Tod zu verursachen. Mit den Jahren zunehmend wehre ich mich gegen diese Sicht! Und ja, es ist auch ein Machtding,, dieses Schuldbewusstsein zu benutzen.
    Ich bin von Herzen froh, lieber Herr Pfarrer Löhr, dass Sie dem Ihre Meinung entgegensetzen. Herzlichen Dank! Diese befreiende Interpretation wird mir helfen, ab jetzt unbeschwerter durch die Passionszeit zu kommen und durch die vielen Gottesdienste, wo so viel von meiner Schuld, meiner übergroßen Schuld in Lied und Wort die Rede ist. Stattdessen werde ich daran denken, wie liebevoll Jesus die Menschen um sich herum angesehen und behandelt hat - so Gott auch mich, so auch ich künftig meine Umgebung, so gut ich kann. Cornelia

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  2. Guten Morgen mit Gottes Segen und Gnade für uns alle .
    Danke für diese endlich mal andere richtige Auslegung.
    Jesus ist für uns gestorben. Es braucht keine Opferlämmer mehr.
    Elisabeth

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  3. Danke für diese Glaubensperspektive. Das ist Evangelium, befreiende Botschaft, die anziehend wirkt.
    Steffi

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  4. Amen
    Was ich bei dem ganzen nicht verstehe,es geht immer um Angst,aber in der Liebe ist keine Angst.
    Jesus hat uns doch zur Freiheit berufen.
    In der Welt habt ihr Angst,aber seid getrost ich habe die Welt überwunden.
    Wir haben denn Heiligen Geist in uns,und sein Wort,womit wir die Geister unterscheiden können.
    Ich würde mir nie von einer Institution Kirche oder irgendeinen Pastor mir meinen Glauben absprechen lassen.
    Mit was könnten diese Sterblichen Menschen mir Angst machen?
    Uns kann keiner von Christus trennen.
    Ich denke mal es geht auch hier um das Eingemachte.
    Dann gehöre ich vielleicht nicht dazu,werde nicht Kirchlich Beerdigt usw.
    Oder ich mache die Sache einfach so mit und Schweige.
    Kann man ja auch verstehen man möchte ja nicht seinen Job und Annehmlichkeiten verlieren.
    Konsequent wäre es zu Kündigen oder einfach die Kirche zu verlassen.
    Der Geschenk des Glauben ist nicht an Menschen gebunden.
    Darum liebe Geschwister in Jesu Namen,wer den Geist Christi hat ist wirklich frei.🙏

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