Sonntag, 22. Januar 2023

Freude, schöner Gottesfunken (Predigt) hl

Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias in Thann

Liebe Freunde,

fast alle von euch kennen die Melodie der Europahymne und manche auch den Text. Ich singe jetzt mal den Anfang, und wer mag, singe oder summe mit:

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Friedrich Schiller hat diesen und die anderen Verse mit dem Titel „An die Freude“ gedichtet. Ludwig van Beethoven hat die Musik dazu komponiert. Sie ist Teil seiner neunten und letzten Symphonie.

Seit bald 40 Jahren wird dieses großartige Werk einmal im Jahr in Osaka, in Japan, mit 10.000 Sängerinnen und Sängern aufgeführt. Ja, ihr habt richtig gehört: 10.000. Sie müssen dafür ein ganzes Jahr lang proben. Sie müssen die deutsche Aussprache und die Wörter des Gedichts auswendiglernen und natürlich auch die schwierigen Noten. Denn der Chor in der neunten Symphonie unterscheidet sich noch einmal stark von dem kleinen Ausschnitt, aus dem die Europahymne besteht. Doch die Aufführung ist für alle Beteiligten ein tiefes Erlebnis. Am Schluss haben viele Tränen in den Augen, und auch der Zuschauer am Bildschirm bleibt nicht unberührt.

2011, nach dem schrecklichen Tsunami und der Atomkatastrophe von Fukushima, haben auch Sängerinnen und Sänger aus der betroffenen Region im Norden Japans mitgewirkt. Aber war das auch angemessen? Kann man für und mit den Opfern dieser Katastrophe das Lied von der Freude singen?

Der Dichter Friedrich Schiller war Zeit seines Lebens ein kranker Mann und musste sich seine großartigen Gedichte und Bühnenwerke förmlich abringen. Und dennoch, oder gerade deshalb hat er das Gedicht „An die Freude“ verfasst. Leider hat er nicht mehr miterlebt, wie sein Gedicht den Siegeszug um die ganze Welt angetreten hat.

Der Musiker und Komponist, Ludwig van Beethoven, war schon jahrelang taub, als er die neunte Sinfonie komponierte. Drei Jahre vor seinem Tod im Jahr 1828, als er dieses Werk vollendete, litt er zusätzlich an schweren Krankheiten. Trotzdem oder gerade deshalb hat er jenes Gedicht von Friedrich Schiller vertont und damit der Freude auch ein unvergleichliches, musikalisches Denkmal gesetzt. Beethoven war noch bei der Uraufführung seiner Symphonie anwesend. Aber da er taub war, konnte er sie nicht hören. Nach dem letzten Ton brach unter den Zuhörern ein Jubelsturm los. Da hat ihn jemand an den Schultern zu ihnen umgedreht, damit er den Beifall wenigstens sehen konnte.

Noch mal die Frage: Kann man trotz allem Leid auf dieser Erde das Lied von der Freude singen? Yutaka Sado, der Dirigent der neunten Sinfonie in Osaka, hat es so gesagt: »Freude ist ein tiefes Wort. Um es wirklich von Herzen ausdrücken zu können, muss man Schweres und Leidvolles erlebt haben.«

Doch dann kommt in dem Gedicht und damit auch in der Symphonie dieser Vers:

Seid umschlungen, Millionen.
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder! Über’m Sternenzelt
Muss ein lieber Vater wohnen.
Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahnest du den Schöpfer, Welt?
Such’ ihn über’m Sternenzelt!
Über Sternen muss er wohnen.

Sooft ich das höre, bekomme ich Gänsehaut und nicht nur ich allein. Dieser unserer Welt voll Krieg und Streit wird hier die entscheidende Botschaft zugesungen: „Brüder! Über’m Sternenzelt / Muss ein lieber Vater wohnen.“ 

Ach dass wir‘s doch endlich lernten, dass wir Menschen Kinder Gottes sind und darum Brüder und Schwestern unabhängig von unserer Nationalität, Religion, Hautfarbe, Bildung, sozialem Status und so weiter. Wir Deutschen und die Franzosen sind Brüder und Schwestern genauso wie die Ukrainer und die Russen, die Chinesen und die Inder, die Amerikaner und die Afrikaner. Und darum heißt es in dem Gedicht: „Seid umschlungen Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt“, den Kuss der Freude und des Friedens. Niemand soll davon ausgeschlossen sein. Alle gehören wir zur großen Familie der Menschheit und damit zur großen Familie Gottes. Wie können wir da Zuflucht zur Gewalt der Waffen suchen, um unsere Probleme zu lösen, statt dass wir miteinander reden, aufeinander hören und uns versöhnen?

Die Freude, von der Schiller schreibt, ist nicht so eine platte, lärmende, bierselige Freude. Sie ist eher still und tief. Ihre Quelle ist Gott, der „liebe Vater“. Und wenn auch sonst im Gedicht der Name Jesu Christi nirgends vorkommt, so kommt doch seine Verkündigung vor. In ihm begegnet uns Gott nicht als irgendein höheres, unbegreifliches Wesen, sondern als der "liebe Vater" seiner Geschöpfe, als deiner und meiner.

An dieser Stelle aber muss ich Friedrich Schiller ergänzen. Ja, Gott wirkt auch über‘m Sternenzelt, in den entferntesten Winkeln des Universums. Doch der Schöpfer der Welt ist in dem Kind in der Krippe und in dem Mann am Kreuz in diese Welt gekommen, zu uns auf die Erde, zu dir und zu mir. So will er nicht zuletzt den Leidenden nahe sein und ihr Schicksal teilen

Früher meinte ich, Freude sei die Abwesenheit von Leid. Das sehe ich inzwischen anders. Leid ist in einem Menschenleben unvermeidlich. Aber das heißt nicht, dass ich davor kapitulieren und alle Lebensfreude preisgeben müsste. Von etlichen unter euch weiß ich, was sie gelitten haben oder welche Last sie auch jetzt tragen müssen. Aber ich weiß auch, dass ihr deswegen das Lachen nicht verlernt habt und auch die kleinen Freuden des Lebens genießen könnt. 

Und auch das weiß ich: wenn ein Mensch leiden muss, ist das noch lange kein Grund, sich von Gott abzuwenden. Im Gegenteil. Nicht wenige finden gerade dann erst zu ihm, weil er uns trösten kann wie sonst niemand. Weil er unsere Lasten mitträgt und auch dann noch in den finsteren Stunden bei uns ist, wenn sonst niemand mehr da ist. Deshalb kann ich gerade auch in Kummer und Leid Gott loben und danken, dass er bei mir ist und mir die Kraft gibt, durch die schweren Zeiten hindurch zu kommen. Und erst recht kann ich ihn loben und ihm danken, weil es zu jeder Zeit etwas gibt, worüber ich mich freuen kann und was mir gut tut. Nein, auch vom Leid lasse ich mir die Lebensfreude nicht nehmen. Das kann ich nicht zuletzt von Schiller und Beethoven lernen.

Vor gut drei Wochen, am 30. Dezember habe ich wieder seine neunte Symphonie mit dem Schlusschor „Ode an die Freude“ in der Meistersingerhalle in Nürnberg gehört. Und wieder haben mich die Musik und die Worte überwältigt, wieder hatte ich Gänsehaut und war tief bewegt. Denn welche Botschaft brauche ich und braucht die Welt mehr, als dass wir alle Söhne und Töchter des einen, "lieben Vaters" sind, eine Familie, und dass wir in der kurzen Zeit, in der wir leben, Freude empfinden und den Frieden genießen. Amen

Hier der Link zum Schlusschor von Beethovens 9. Symphonie in Osaka

Und hier der Text, wie er im Schlusschor gesungen wird:

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
||: Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt;
alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt. :||

Wem der große Wurf gelungen,
eines Freundes Freund zu sein,
wer ein holdes Weib errungen,
mische seinen Jubel ein!
||: Ja, wer auch nur eine Seele
sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer’s nie gekonnt, der stehle
weinend sich aus diesem Bund. :||

Freude trinken alle Wesen
an den Brüsten der Natur;
alle Guten, alle Bösen
folgen ihrer Rosenspur.
||: Küsse gab sie uns und Reben,
einen Freund, geprüft im Tod;
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub steht vor Gott! :||

Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt’gen Plan,
||: laufet, Brüder, eure Bahn,
freudig, wie ein Held zum Siegen. :||[WS 1]

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
||: Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt;
alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt. :||

||: Seid umschlungen Millionen.
Diesen Kuss der ganzen Welt! :||
||: Brüder! überm Sternenzelt
muss ein lieber Vater wohnen :||
Ihr stürzt nieder Millionen?
Ahnest du den Schöpfer, Welt?
Such’ ihn über’m Sternenzelt!
||: Über Sternen muss er wohnen. :||

||: Freude schöner Götterfunken,[WS 2]
Tochter aus Elysium,
wir betreten feuertrunken
Himmlische, dein Heiligtum! :||
Seid umschlungen Millionen!
||: Diesen Kuss der ganzen Welt! :||

||: Freude, Tochter aus Elysium! :||
||: Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt. :||
||: Alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt. :||

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder! über'm Sternenzelt
muss ein lieber Vater wohnen.
Seid umschlungen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Freude schöner Götterfunken!
Tochter aus Elysium!
Freude, schöner Götterfunken! Götterfunken!

 

 



 

 

 

1 Kommentar:

  1. Ja, die Ode an die Freude durfte ich 3 mal mitsingen.
    Jetzt wo meine Stimme nicht mehr so gut ist, habe ich noch die
    Erinnerung an diese wundervollen Augenblicke. Gott sei Dank.
    Der Vater ist unter uns. Gerade inn Zeiten der Not und Angst ist es wichtig, sich wieder Gott zuzuwenden.
    Wirf dein Anliegen auf den Herrn, er wird dich versorgen.
    Lassen wir es zu und freuen uns auf den schönen Tag.
    Hier in Norden geht gerade die Sonne auf.
    Elisabeth.

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